Grüne E-Fuels - Delegierter Rechtsakt zur Bestimmung des Grünstromanteils - Art. 27 RED II

April 2023
Konrad Riemer
Grüne E-Fuels - Delegierter Rechtsakt zur Bestimmung des Grünstromanteils - Art. 27 RED II

Grüne synthetische Kraftstoffe – EU-Kommission nimmt Delegierte Verordnung zur Festlegung einer Unionsmethode mit detaillierten Vorschriften für die Erzeugung flüssiger oder gasförmiger erneuerbarer Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs für den Verkehr an

In den vergangenen Wochen wurde auf höchster politischer Ebene über Sinn und Unsinn des Einsatzes grüner E-Fuels im Straßenverkehr gestritten. Auf Druck der deutschen Bundesregierung will die EU-Kommission eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der Neuzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 durch die am 28. März 2023 angenommene Verordnung zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/631 im Hinblick auf eine Verschärfung der CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge im Einklang mit den ehrgeizigeren Klimazielen der Union vorsehen. Hierzu will sie einen Delegierten Rechtsakt erlassen, demzufolge auch nach 2035 Fahrzeuge mit Verbrennermotoren zugelassen werden dürfen, sofern sie mit grünen E-Fuels betrieben werden. Auch in der Auseinandersetzung der Regierungskoalition sprach sich die FDP für, die Grünen gegen eine Nutzung von E-Fuels im Individualstraßenverkehr aus. Im Koalitionsausschuss wurde als Verhandlungsergebnis eine verstärkte Nutzung des Potenzials synthetischer Kraftstoffe auch im Straßenverkehr vereinbart, s. Koalitionsbeschluss „Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ vom 28. März 2023.

Ganz anders als im Individualstraßenverkehr ist dagegen weitgehend unbestritten, dass grüne synthetische Kraftstoffe – sog. flüssige und gasförmige erneuerbare Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs bzw. RFNBOs (renewable liquid and gaseous transport fuels of non-biological origin) (im Folgenden: grüne E-Fuels) – in denjenigen Sektoren eine wichtige Rolle spielen werden, die voraussichtlich langfristig auf flüssige Brennstoffe angewiesen sein werden, insbesondere also im See- und Luftverkehr.

Die Erneuerbare Energien Richtlinie (EU) 2018/2001 (im Folgenden: RED II) sieht in Art. 27 RED II Berechnungsregeln für die Bestimmung des Anteils grünen Stroms in grünen E-Fuels vor und damit Regelungen zur Anrechenbarkeit von grünen E-Fuels auf die obligatorischen Mindestanteile erneuerbarer Energien im Verkehrssektor. Diese Regeln werden nunmehr im Delegierten Rechtsakt der Kommission vom 10. Februar 2023, C(2023) 1087 final, näher konkretisiert. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die wesentlichen Regeln des Delegierten Rechtsakts vom 10. Februar 2023 (im Folgenden: Delegierter Rechtsakt).

Anrechenbarkeit von Grünstrom aus direkt mit dem Elektrolyseur verbundenen EE-Anlagen

  • Strom, der in einer Anlage zur Herstellung von grünen E-Fuels (im Folgenden: Erzeugungsanlage oder Elektrolyseur) verwendet wird, kann gem. Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 5 RED II dann in vollem Umfang als „erneuerbar“ angerechnet werden, wenn er
    • aus einer Anlage stammt, die Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt (EE-Anlage),
    • eine direkte Verbindung zwischen der EE-Anlage und der Erzeugungsanlage besteht,
    • die EE-Anlage gleichzeitig oder nach der Erzeugungsanlage in Betrieb genommen wird (Zusätzlichkeitskriterium) und
    • die EE-Anlage nicht an das allgemeine Stromnetz angeschlossen ist oder die EE-Anlage zwar an das allgemeine Stromnetz angeschlossen ist, der zur Erzeugung der grünen E-Fuels eingesetzte Strom aber nachweislich bereitgestellt wird, ohne dass der Strom aus dem Netz entnommen wurde.
  • Der Delegierte Rechtsakt konkretisiert bzw. ändert diese Voraussetzungen nunmehr wie folgt:
    • Für den Begriff der „direkten Verbindung“ verweist Art. 2 Abs. 2 des Delegierten Rechtsakts auf die Definition der „Direktleitung“ nach Art. 2 Nr. 41 der RL (EU) 2019/944. Eine „Direktleitung“ ist danach entweder eine Leitung, die einen einzelnen Produktionsstandort mit einem einzelnen Kunden verbindet, oder eine Leitung, die einen Erzeuger und einen Versorger zur direkten Versorgung mit ihrer eigenen Betriebsstätte, ihren Tochterunternehmen und ihren Kunden verbindet.
    • Das Zusätzlichkeitskriterium wird über den Wortlaut des Art. 27 Abs. 3 Unterabs. 5 lit. a RED II hinaus gelockert. Während die RED II verlangt, dass die EE-Anlage ihren Betrieb „nach oder gleichzeitig“ mit der Erzeugungsanlage aufnehmen muss, ist das Zusätzlichkeitskriterium nach dem Delegierten Rechtsakt auch dann erfüllt, wenn die EE-Anlage ihren Betrieb bis zu 36 Monate vor der Erzeugungsanlage aufgenommen hat (Art. 3 Abs. 1 lit. b Delegierter Rechtsakt). Mit der Lockerung der zeitlichen Korrelation zwischen EE-Anlage und Erzeugungsanlage soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es bei der Errichtung der Erzeugungsanlage zu unerwarteten Problemen in der Planungs- oder Bauphase kommen kann und diese Verzögerungen der Inbetriebnahme die Anrechenbarkeit des erneuerbar erzeugten Stroms aus der zusätzlich errichteten EE-Anlage nicht vereiteln sollen.
    • Eine weitere Konkretisierung betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen Strom als vollständig erneuerbar angesehen werden kann, wenn die EE-Anlage, in der der Strom zur Herstellung der grünen E-Fuels erzeugt wird, nicht nur die Erzeugungsanlage versorgt, sondern auch an das allgemeine Stromnetz angeschlossen ist. Die RED II verlangt insoweit, dass die zur Herstellung der grünen E-Fuels eingesetzte Elektrizität nachweislich nicht dem allgemeinen Stromnetz entnommen worden ist und, so lässt sich ergänzen, damit klar ist, dass der Strom aus der EE-Anlage stammt. Der Delegierte Rechtsakt verlangt zusätzlich, es müsse durch ein Smart Metering System nachgewiesen werden, dass kein Strom zur Herstellung von grünen E-Fuels aus dem Netz entnommen wurde. Nicht geklärt ist damit allerdings, wie über ein Smart Metering System sicherzustellen ist, dass der Elektrolyseur nicht über die Direktleitung zur EE-Anlage und deren Anschluss an das allgemeine Stromnetz mittelbar mit Elektrizität aus dem allgemeinen Netz versorgt wird. Denkbar wäre insoweit, Smart Meter sowohl in der EE-Anlage als auch im Elektrolyseur einzusetzen.

Anrechenbarkeit von Grünstrom in grünen Gebotszonen

  • Bezieht die Erzeugungsanlage den Strom zur Herstellung von grünen E-Fuels nicht aus einer EE-Anlage, die über eine Direktleitung mit der Erzeugungsanlage verbunden ist, sondern aus dem allgemeinen Stromnetz, richten sich die konkretisierten Regeln zur Anrechenbarkeit der bezogenen Grünstrommengen nach den Artt. 4 ff. des Delegierten Rechtsakts:
    • Eine Anrechnung von aus dem allgemeinen Stromnetz bezogener Elektrizität als vollständig grün kommt nach Art. 4 Abs. 1 Delegierter Rechtsakt dann in Betracht, wenn der Elektrolyseur in einer Stromgebotszone liegt, in der der durchschnittliche Anteil erneuerbaren Stroms bei über 90 % im zurückliegenden Kalenderjahr lag und die Betriebsstunden des Elektrolyseurs zur Herstellung der grünen E-Fuels pro Jahr nicht über den Anteil von erneuerbar erzeugtem Strom pro Jahr hinausgehen. Beträgt beispielsweise der Grünstromanteil in der Gebotszone 95 %, so darf der Elektrolyseur nicht mehr als 95 % der Stunden eines Jahres grüne E-Fuels erzeugen. Dieses Erfordernis dürfte in der Regel leicht einzuhalten sein, da die wenigsten Elektrolyseure vollständig wartungsfrei in sämtlichen 8.760 Stunden eines Jahres produzieren können.
    • Unter den zusätzlichen Voraussetzungen zeitlicher und geographischer Korrelation können Strommengen, die dem allgemeinen Stromnetz entnommen worden sind, auch dann als vollständig erneuerbar angesetzt werden, wenn der Elektrolyseur in einer Stromgebotszone liegt, in der die Emissionsintensität von Elektrizität niedriger als 18gCO2eq/MJ beträgt, s. Art. 4 Abs. 2 Delegierter Rechtsakt.

Anrechenbarkeit von Grünstrom im Übrigen

  • Wenn weder die Voraussetzungen nach Art. 4 Delegierter Rechtsakt noch nach Art. 5 Delegierter Rechtsakt erfüllt sind, kann Strom, der dem allgemeinen Netz entnommen worden ist, nur unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Zusätzlichkeit sowie die zeitliche und geographische Korrelation nach den Artt. 5, 6 und 7 Delegierter Rechtsakt als vollständig erneuerbar erzeugter Strom angerechnet werden.
    • Zusätzlichkeit (Art. 5 Delegierter Rechtsakt): Der zur Herstellung von grünen E-Fuels eingesetzte Grünstrom kann dann vollständig als grün angerechnet werden, wenn er in einer EE-Anlage des Herstellers der grünen E-Fuels erzeugt worden ist oder der Grünstrom über einen Grünstrombezugsvertrag (renewables power purchase agreement) bezogen worden ist. Hinzukommen muss im Grundsatz allerdings, dass die EE-Anlage frühestens 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden ist (Art. 5 lit. a Delegierter Rechtsakt) und keine Betriebs- oder Investitionsbeihilfen erhalten hat (Art. 5 lit. b Delegierter Rechtsakt). Diese zusätzlichen Voraussetzungen gelten nach Art. 11 Delegierter Rechtsakt bis zum 1. Januar 2038 allerdings nicht für solche Elektrolyseure, die vor dem 1. Januar 2028 in Betrieb genommen worden sind.
    • Zeitliche Korrelation (Art. 6 Delegierter Rechtsakt): Auch im Hinblick auf die zeitliche Korrelation differenziert der Delegierte Rechtsakt zwischen zwei Zeiträumen: Bis zum 31. Dezember 2029 gilt das Erfordernis der Gleichzeitigkeit als erfüllt, wenn die grünen E-Fuels und der erneuerbare Strom im gleichen Kalendermonat erzeugt wurden bzw., falls der Strom aus einem neu errichteten Stromspeicher stammt, der Stromspeicher in dem Monat geladen wurde, in dem der Strom unter dem Grünstrombezugsvertrag erzeugt worden ist. Ab dem 1. Januar 2030 gilt statt der Monats- eine Stundenkorrelation.
    • Geographische Korrelation (Art. 7 Delegierter Rechtsakt): Um Netzengpässe zwischen verschiedenen Gebotszonen zu vermeiden, konkretisiert Art. 7 des Delegierten Rechtsakts die Anforderungen an die geographische Korrelation zwischen Grünstromerzeugung und Grünstrombezug. Nach dem Delegierten Rechtsakt ist die Anforderung an eine geographische Korrelation in den folgenden Fällen erfüllt: Die EE-Anlage, aus der der über den Grünstrombezugsvertrag bereitgestellte Strom stammt, befindet sich in der gleichen Gebotszone wie der Elektrolyseur (Art. 7 Abs. 1 lit. a Delegierter Rechtsakt) bzw. in einer Offshore-Gebotszone, die mit der Gebotszone verbunden ist, in der der Elektrolyseur betrieben wird (Art. 7 Abs. 1 lit. c Delegierter Rechtsakt). Alternativ ist von einer geographischen Korrelation auch dann auszugehen, wenn die EE-Anlage in einer verbundenen Gebotszone betrieben wird und die Strompreise in dieser verbundenen Gebotszone im Day-Ahead-Markt in Bezug auf den Monats- bzw. Tageszeitraum nach Art. 6 Delegierter Rechtsakt gleich hoch oder höher sind als in der Gebotszone, in der die Erzeugungsanlage betrieben wird (Art. 7 Abs. 1 lit. b Delegierter Rechtsakt). Denn in diesem Fall ist wegen der Import-Preissignale in der Hochpreisgebotszone nicht zu befürchten, dass der gebotszonenübergreifende Transit des Grünstroms in die Niedrigpreisgebotszone Netzengpässe verursacht.

Nachweise der Grünstromeigenschaft

Schließlich konkretisiert Art. 8 Delegierter Rechtsakt die Nachweispflichten der Erzeuger von grünen E-Fuels, die den Einsatz von Grünstrom in Übereinstimmung mit den Anforderungen nach dem Delegierten Rechtsakt auf Stundenbasis nachweisen müssen.

Geltung der Anrechenbarkeitsregeln auch für grüne E-Fuels aus dem Nicht-EU-Ausland

Die ohnehin anspruchsvollen Regeln für die Anrechenbarkeit des Grünstromanteils in grünen E-Fuels sollen nicht nur für innerhalb, sondern auch für außerhalb der EU erzeugte grüne E-Fuels gelten. Hierbei können sich komplexe Rechtsfragen stellen, falls ein Drittstaat nicht über identische Rechtsinstitute oder Stromversorgungsstrukturen verfügt wie die Mitgliedstaaten der EU. Insgesamt wird die Anwendung der ohnehin anspruchsvollen Berechnungsregeln durch den Delegierten Rechtsakt nicht einfacher.